Liebe Leserinnen und Leser meines Wochenberichtes,
die Zeit vergeht wie im Flug und ehe man sichs versieht, steht die parlamentarische Sommerpause vor der Tür. Und was war das nur für ein erstes Halbjahr. Ich denke, niemand hat sich vorstellen können, dass das Jahr 2020 wohl als das Jahr der Corona-Pandemie in die Geschichte eingeht und wie diese die gesamte Welt vor gewaltige Herausforderungen stellen wird. Dass wir uns eines Tages mit Ausgangs-, Reise- und Kontaktbeschränkungen, geschlossenen Grenzen und einer heruntergefahrenen Wirtschaft konfrontiert sehen, habe ich mir nicht vorstellen können. Wenn ich an die letzten Monate zurückdenke, erscheint mir vieles surreal. Schlagartig hat das Virus national und international unser aller Alltag von einem auf den anderen Tag auf den Kopf gestellt.
Viele Entscheidungen, die wir fraktionsübergreifend insbesondere zu Beginn der Krise getroffen haben, waren auch für uns nicht einfach. Die Frage nach dem richtigen Maß an Einschränkungen, aber auch die Sorge vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen treiben auch mich und meine Kolleginnen und Kollegen um. Doch ich bin davon überzeugt, dass demokratische Entscheidungsverfahren, die Diskussionen, Vorschläge, Kompromisse und einen Wettstreit um die stärksten Argumente beinhalten, zu sachlichen und guten Entscheidungen führen. Und es hat sich gezeigt, dass unser demokratisches System auch in Krisenzeiten flexibel, handlungsfähig und belastbar ist.
Doch auch wenn wir die Krise in Deutschland im internationalen Vergleich erfolgreich gemanagt haben, verschärft das Virus nicht nur die Situation in armen, von Sanktionen betroffenen, stark bevölkerten oder von Kriegen gezeichneten Ländern, sondern zeigt auch uns, was in diesem und in anderen Ländern nicht funktioniert; hieß es zu Beginn der Pandemie noch: vor Corona sind alle gleich. Es zeichnet sich stattdessen ab, dass es eben doch einen Unterschied macht, ob man arm oder reich, ob man machtlos oder mächtig ist.
Kann man es sich leisten, ins Homeoffice zu gehen? Verbringt man die Zeit der Quarantäne auf engen Raum oder in einer großen Wohnung? Lebt man in einem Land, in dem ein ausgebautes Gesundheits- und Sozialsystem vorhanden ist? Kann man sich im Zweifel eine Behandlung leisten? Lebt man in einem armen oder reichen Land, das die gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen abfedern kann?
Die Missstände werden schonungslos und für jedermann sichtbar. Dass es dazu einer lebensbedrohlichen Infektionskrankheit bedurfte, ist mehr als bedauerlich.
Gleichzeitig bietet die Corona-Krise nun die Chance, Missstände auch anzugehen und bestehende Ungleichheiten zu nivellieren. Sei es, indem wir den Moment nutzen und in eine nachhaltigere Wirtschaftsweise und mehr Umweltschutz investieren, sei es, indem wir die Zeit nutzen und die Digitalisierung in diesem Land voranbringen oder indem wir endlich mit prekären Arbeitsverhältnissen aufräumen.
Auch wenn ich an unseren Umgang miteinander und den gesellschaftlichen Zusammenhalt denke, könnte die Pandemie eine Chance sein. Denn sie hat uns gezeigt, dass wir einander brauchen und dass unser Verhalten direkte Auswirkungen auf unsere Mitmenschen haben kann. Nicht nur national, sondern auch international merken wir, dass wir im Kampf gegen das Virus über nationale Grenzen hinweg aufeinander angewiesen sind. Insofern bietet das Corona-Virus auch eine Chance für eine stärkere internationale Zusammenarbeit.
Ich jedenfalls wünsche mir, dass wir als Gesellschaft aus der Krise lernen.
Bevor der Bundestag in die Sommerpause geht, ging es für mich und meine Kolleginnen und Kollegen noch ein letztes Mal nach Berlin. Dort angekommen, nahm ich an einer öffentlichen Anhörung zum Verbot der Außenwerbung für Tabakprodukte und E-Zigaretten teil. Hintergrund der Anhörung war die bevorstehende Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes. Danach sollen elektronische Zigaretten künftig, auch wenn sie nikotinfrei sind, den nikotinhaltigen Zigaretten gleichgestellt werden. Gleichzeitig sollen zusätzliche Werbeverbote für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter eingeführt werden. Die sieben geladenen Sachverständigen begrüßten in ihren Einschätzungen den Ansatz des Werbeverbots, denn diese haben einen signifikanten Einfluss auf das Ausprobieren von Tabakprodukten insbesondere bei Jugendlichen und diese seien nachweislich die Hauptzielgruppe der Tabakindustrie. Auch die Gefahr von elektronischen Nikotinverabreichungssystemen wie E-Zigaretten bergen, so die Aussage des Sachverständigen PD Dr. Tobias Effertz von der Universität Hamburg, erhebliche Risiken für Konsumenten. Darauf weise auch die neuere Forschung hin.
In der Fraktionssitzung am Dienstagnachmittag sprachen wir unter anderem über das am Freitag beschlossene Kohleausstiegsgesetz. Die Verhandlungen im Rahmen der Kohlekommission waren lang und nicht einfach, denn die Beschlüsse beinhalten einen gesamtgesellschaftlichen Kompromiss, der viele unterschiedliche Interessen zusammenbinden musste. Auf der einen Seite haben wir Unternehmen, die ein Recht darauf haben, dass ihre Genehmigung nicht einfach so erlischt, obwohl sie bei der Investitionsentscheidung darauf vertraut haben. Auf der anderen Seite haben wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um dessen Perspektive und Zukunft wir uns kümmern müssen. Ihnen helfen wir, indem wir in den Strukturwandel in den Revieren investieren. Für neue Jobs, neue Schienen- und Straßenanbindungen und Investitionen in Bildung und Forschung stehen bis 2038 insgesamt 40 Milliarden Euro zur Verfügung, denn der Kohleausstieg kann nur dann erfolgreich sein, wenn damit neue Zukunftsperspektiven und Chancen für die Beschäftigten einhergehen. Dies schaffen wir mit den vorliegenden Gesetzentwürfen des Kohleausstiegsgesetzes und des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen.
Darüber hinaus sprachen wir auch über die Grundrente, die in dieser Woche abschließend im Plenum beraten wurde. Unsere Hartnäckigkeit gegenüber unserem Koalitionspartner hat sich ausgezahlt und die Grundrente wird pünktlich und wie geplant ab dem 1. Januar 2021 in Kraf treten. Gerade in dieser angespannten Zeit ist dies ein starkes Signal für unsere Bürgerinnen und Bürger, die sie sich auf uns verlassen können müssen. Für viele Menschen ist die Rente im Alter die Haupteinkommensquelle. Dafür haben sie jahrzehntelang gearbeitet und Beiträge eingezahlt. Viele von ihnen haben Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt. Und doch sind viele im Alter auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen. Mit der Grundrente stärken wir den sozialen Ausgleich und zeigen: eure lebenslange Beitragsleistung wird auch angemessen gewürdigt. Insgesamt werden durch das Gesetz 1,3 Millionen Menschen einen Zuschlag auf ihre Rente bekommen.
Am Donnerstag hielt ich eine Rede zur Situation in der Fleischindustrie. Wenn sie vor die Werkstore fahren und sich anschauen, wie ein Großteil von Kolleginnen und Kollegen aus Ost- und Mitteleuropa unter schäbigsten Bedingungen leben, schlecht behandelt und sehr schlecht bezahlt werden, aber trotzdem dort arbeiten gehen, macht das etwas mit unserem Land, etwas mit der Moral unseres Landes und das gehört abgestellt!
Am Abend debattierten wir über die Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes. Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir nun einen deutlichen Schritt weiter und haben endlich das Verbot der Tabakaußenwerbung beschlossen. Dies alles hätten wir bereits in der letzten Legislaturperiode haben können. Doch die Lobby hatte insbesondere bei unserem Koalitionspartner ganze Arbeit geleistet. Auch wenn der Weg hier her lang war, hat es sich gelohnt und ich bin froh, dass wir nun endlich unsere Jugendlichen und Kinder stärker vor den gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums schützen.
Bevor es heute zurück in die Heimat ging, debattierten wir im Plenum über die Bemühungen der Bundesregierung, zukünftig für mehr Tierwohl, einen besseren Umweltschutz und eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu sorgen. Wesentlich dafür ist aus unserer Sicht die Umsetzung der Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung. Es ist endlich an der Zeit, dass wir den Transformationsprozess in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung aktiv gestalten, anstatt wie bislang nur auf Gerichtsurteile zu reagieren. Dazu fordern wir die Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestag innerhalb dieser Legislaturperiode eine kurz-, mittel- und langfristige Umsetzungsstrategie zur Transformation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung vorzulegen – mit konkreten Empfehlungen, beispielsweise zu Neubauten, Entwicklungsperspektiven für bestehende Tierhaltungen, zu Umwelt- und Klimaschutz sowie zu ökonomischer Betriebsführung. Auch hierzu sprach ich heute im Bundestag.
Es liegen anstrengende, intensive aber auch produktive Wochen und Monate hinter uns und ich bin der Meinung, dass sich unsere Arbeit sehen lassen kann.
Damit verabschiede ich mich von Ihnen und Euch und wünsche eine erholsame Sommerzeit.
Vor allem aber: bleiben Sie und bleibt gesund!
Ihr/Euer Rainer Spiering, MdB