Reisebericht der Israel-Reise

Im Rahmen einer Einzeldienstreise für den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages verbrachte ich vom 29. April bis zum 3. Mai 2019 fünf hochspannende und intensive Tage in Israel.

Das Land ist in vielfacher Hinsicht ein besonderes Ziel: Deutschland und Israel stehen in einer einmaligen Beziehung zueinander. Mit Blick in die Geschichte verbindet die beiden Länder zunächst auf individueller Ebene eine tiefe Emotionalität sowie im gesellschaftlichen Kontext das Bewusstsein einer Verantwortung, Geschehenes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und als Lehre aus der Vergangenheit Gegenwart und Zukunft menschenwürdig und respektvoll zu gestalten. Für mich persönlich zeigten sich diese Aspekte im Laufe der Reise immer wieder, wie ich im Folgenden mitunter schildern werde. Aus aktueller Perspektive können Deutschland und Israel auch in fachlicher Hinsicht viel voneinander lernen – beispielsweise vor dem Hintergrund praktischer Herausforderungen aufgrund der Notwendigkeit einer sich in Hinblick auf die Umwelt wandelnden Landwirtschaft und resultierenden agrarpolitischen Handlungsdispositionen. Als Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Ernährung und Landwirtschaft bin ich sehr daran interessiert, praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse beider Länder in diesen Fachbereichen zu analysieren, um mögliche Synergieeffekte für die deutsche bzw. europäische Agrarpolitik zu erörtern und die fachliche Debatte nutzbringend voranzutreiben.

Beispielsweise findet die Forschung im Bereich der Digitalisierung im Kontext landwirtschaftlicher Praxis in Israel auf sehr hohem Niveau statt: Israel gilt als einer der globalen Innovationsführer im Bereich der Agrartechnologie mit einer breit gefächerten Start-up-Szene. Da mich Landtechnik seit Kindertagen fasziniert und ich mich seit meinem Einzug in den Bundestag 2013 im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft beständig für die Digitalisierung im Agrarbereich einsetze, stand diese Thematik für meine Dienstreise nach Israel im Fokus der inhaltlichen Planungen. Entsprechend war es das Ziel der Reise, mich mit dem globalen Innovationsführer im Bereich der Agrartechnologie auseinanderzusetzen und mir detaillierteres Wissen über Strukturen und Prozesse in der Agrarwirtschaft vor Ort zu verschaffen. Denn: Es steht fest, dass sich durch die Digitalisierung und Big Data ganz neue Möglichkeiten für eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft eröffnen. Sie können dazu beitragen, die Erzeugung von Nahrungsmitteln noch effizienter, ressourcenschonender und ökologisch verträglicher zu gestalten. Betriebe können durch den Einsatz digitaler Hilfsmittel die Gesundheit und das Wohlergehen der Tiere weiter verbessern, den Schutz der Umwelt erhöhen, sowie Dünger und Pflanzenschutzmittel zielgenauer und sparsamer einsetzen. Wenn wir eine erfolgreiche, zukunftsorientierte und vor allem umweltverträgliche Landwirtschaft betreiben wollen, dann sollten wir unser Wissen mithilfe von Algorithmen ausweiten.

 29.04.2019

Nach meiner Ankunft im sonnigen Tel Aviv begrüßte mich die Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Susanne Wasum-Rainer in ihrer Botschaftsresidenz. Sie gab mir einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen in Israel, unter anderem in Hinblick auf die Folgen der zwei Wochen zuvor abgehaltenen Parlamentswahlen und den Plänen zur Regierungsbildung sowie Entwicklungen im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts. Zudem tauschten wir uns über die Ziele und Stationen meines Israel-Aufenthaltes aus. Nach dieser herzlichen und informativen Begrüßung konnte ich in meiner Unterkunft einchecken, ehe ich abends mit Herrn Dr. Paul Pasch, dem Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Israel, Herrn Micky Drill, Projektmanager wie auch Gewerkschaftsreferent der FES, Herrn Avshalom Vilan, dem Generealsekretär der Israel Farmers Association sowie ehemaligen Abgeordneten der Knesset vonseiten der Meretz-Partei und Frau Régine Sturm, Dolmetscherin, zum Abendessen und Gespräch zusammenkam. In dem Austausch konnten die zuvor mit Frau Dr. Wasum-Rainer angesprochenen Themen vertieft werden, sodass ich an diesem Abend bereits überaus gewinnbringende Einschätzungen über die gesellschaftliche und politische Situation des Landes aus verschiedenen Perspektiven in Erfahrung bringen konnte. Ich durfte sehr umsichtige Menschen kennenlernen, deren Gesellschaft mir viel Freude und einen anregenden ersten Abend bereitet hat.

30.04.2019

Am zweiten Tag meiner Reise wurde ich von Dolmetscherin Régine Sturm zu der weltweit größten Entsalzungsanlage in Ashkelon begleitet. Während der Hinfahrt schlug eine Rakete vonseiten militanter Palästinenser in der direkten Umgebung von Ashkelon ein. Das war eine turbulente Fahrt, der Nahostkonflikt zeigte sich ganz unmittelbar.

Israel gilt in der Produktion von Wasser-Ressourcen speziell durch Entsalzungsverfahren von Meerwasser als Pionier in Sachen Wasser-Recycling. Da fast die Hälfte des Landes aus Wüste bzw. Trockengebieten besteht, sind die Fragen nach der Bewahrung von Wasserquellen und die Entwicklung neuer Wasserressourcen schon seit der Staatsgründung von besonderer Relevanz. Durch das sich wandelnde Klima treten auch in Deutschland immer ausgedehntere Dürre-Zeiten während der Sommermonate auf, die die landwirtschaftliche Produktion wie auch natürliche Pflanzenbestände beeinträchtigen. Folglich ist das Haushalten mit Wasser-Ressourcen unter Bedingungen von Knappheit auch ein Thema von zunehmender Relevanz für Deutschland und Europa.

Bei der einstündigen Führung vor Ort konnte ich erfahren, dass die Anlage ca. 100 Millionen Kubikmeter Nutzwasser pro Jahr produziert. Dazu wird das Verfahren der Reversosmose genutzt, bei dem Meerwasser mit einem Druck von rund 70 bar durch Rohre mit einem Durchmesser von 1,5 Metern und darin befestigte Mebranvorrichtungen gepumpt wird, sodass Salze, Kalk, Gifte und Schwermetalle zurückgehalten werden und sich der natürliche Osmose-Prozess umkehrt. Auf diese Weise wird das Wasser gefiltert und gebräuchlich gemacht.

Bei der Führung durch die beeindruckende, weitläufige Anlage konnte ich mich des Weiteren über die Aspekte Wasserqualität, Infrastruktur und Prozesse der Abwasseraufbereitung informieren. Die leistungsstarke Technologie ist sehr beachtlich, da sie zum einen ein wertvolles Instrumentarium gegen Wasserknappheit bietet und sie resultierend daraus zum anderen auch dabei helfen kann, politische Konflikte im Kontext von Verteilungskämpfen um Wasserressourcen zu entschärfen.

Nach diesem Termin besuchte ich das Start-up-Unternehmen Sensilize in Petach Tikwa, das eine spannende App zum Farmmanagement auf den Markt gebracht hat. Der sogenannte „Robin Eye Sensor“ und die damit zusammenhängende Software ermöglichen eine bildbasierte Analyse von Agrarflächen. Dazu werden auf einer Drohne befestigte multispektrale Sensoren genutzt, um Daten über die Beschaffenheit und Entwicklung von Böden und Pflanzenbestände zu erheben. Die Verarbeitung der Daten erfolgt durch eine Cloud-basierte, schnell arbeitende Software, mithilfe derer Schlussfolgerungen für eine besonders effiziente Bewirtschaftung der jeweiligen Agrarfläche erfolgen kann – beispielsweise für eine zielgerichtete und nachhaltige Steuerung des Bewässerungs- oder Düngungssystems. Herr Ronen Rachmani, technischer Direktor von Sensilize berichtete, dass das Start-up die Nutzung der Technologie für 300$ monatlich anbietet und das Ziel verfolgt, sowohl kleine landwirtschaftliche Betriebe als auch Großunternehmen mit ihrer Analysesoftware zu unterstützen. Sich diese Technologie vor Ort anzuschauen und Konkretes über die Entwicklung und technische Realisierung zu erfahren, war v.a. in Hinsicht auf die Möglichkeiten der Anwendung digitalisierter Analysemethoden auch im deutschen Agrarsektor hochinteressant. In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig zu betonen, dass solche Werkzeuge der Digitalisierung ein Hilfsmittel darstellen und den Landwirten in der Bearbeitung ihrer Tätigkeiten behilflich sein sollen. Die Daten müssen den Landwirten und nicht einem privaten Unternehmen oder dem Staat gehören, weshalb die Umsetzung einer bundesweiten Master-Plattform zum Erfassen einschlägiger Daten – neben der Voraussetzung der technischen Machbarkeit der Datenerhebung – gesondert diskutiert werden muss.

Im Anschluss an diesen Termin fuhr ich zum Technion Israel Institute of Technology und traf Prof. Alex Furman, Umweltingenieur des Instituts, um mich mit ihm zum Thema der Agrar-Masterplattform und zu einem Ausbau der deutsch-israelischen Kooperationen in der einschlägigen Forschung auszutauschen. Dabei konnte ich den fachlichen Dialog über technische Prämissen und Wege der Umsetzung einer solchen Daten-Plattform vertiefen. Prof. Furman beeindruckte durch sachliches Knowhow und die Umfänglichkeit seiner praktischen Kompetenzen in diesem Kontext, sodass er und das Technion Israel Institute of Technology als sehr gewinnbringende Partner für den Austausch zur Entwicklung einer IT-Plattform in Deutschland erscheinen. So wurde direkt ein weiteres Treffen für die nahe Zukunft in Berlin geplant, um die Verständigung in fachlichen Fragen auszuweiten.

In Anschluss an diesen Termin traf ich Frau Dr. Palmberger, Mitarbeiterin des Deutschen Archäologischen Instituts, die mir dankenswerter Weise eine anspruchsvolle und hochinformative Führung durch die eineinhalb Autostunden entfernte Stadt Akko gab.

Hafen in Akko

 In der schönen Hafenstadt besichtigten wir die beeindruckenden Burganlagen der Tempelritter. Es war sehr spannend, die gut erhaltenen Festungsanlagen an einem authentischen Ort dieser historischen Tragweite zu besichtigen: Akko war im 13. Jh. nach dem Fall von Jerusalem die Hauptstadt des Kreuzritterordens und war entsprechend Schauplatz für Eroberungen, Kämpfe und Machtwechsel. Der erst im Jahr 1994 entdeckte 350 lange, unterirdische Fluchttunnel der Templer, der einst von ihrer Festung zum Hafen führte, war aufgrund seiner Abgeschiedenheit vom bunten Trubel auf den Straßen der Stadt eine besondere Sehenswürdigkeit. Zu  Recht gilt die Entdeckung des Tunnels als eine der größten archäologischen und bauhistorischen Sensationen der letzten Dekaden.

Templer-Tunnel in Akko

In Akko hatte ich zudem die Möglichkeit, im Bereich der Levante das geographische Zusammentreffen von Morgen- und Abendland zu bestaunen. Dabei empfand ich es als besonders interessant, wie sich der arabisch-israelische Teil vom modern anmutenden Israel abhebt – in Hinblick auf augenscheinlich heterogene Lebensformen allgemein, aber auch auf religiöse Zugehörigkeiten. Sichtbar wurde dies im Stadtbild beispielsweise auch im friedlichen Nebeneinander der muslimischen Israelis und jungen orthodoxen Juden. Überwältigt durch den Anblick der jahrhundertealten Bauwerke der Templer einerseits und durch das Erleben friedlich koexistierender Gläubiger andererseits (v.a. vor dem Hintergrund aktuell global schwieriger Zeiten mit Blick auf die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer religiösen Identität) beschloss ich den Tag bedachtsam.

In Akko leben Religiöse verschiedener Glaubensrichtungen friedlich zusammen

01.05.2019

Am nächsten Tag fuhr ich in Begleitung von Dolmetscherin Régine Sturm nach Rishon leTsiyon. Dort suchten wir die Agricultural Research Organization auf, darin speziell das Volcani-Center, welches eines der weltweit führenden Institute im Umgang mit Wasser in Wüstenregionen ist. Ich hatte die Gelegenheit, mit Prof. Eli Feinerman, Direktor des Volcani-Centers, über Landwirtschaft unter den Bedingungen von Trockenheit und marginalen Böden sowie Möglichkeiten der Bewässerung von Agrarflächen mit recyceltem Abwasser und Salzwasser zu sprechen. In Anschluss an meine Besichtigung der Entsalzungsanlage in Ashkelon konnte ich so mein Wissen über die Möglichkeiten nachhaltiger Landwirtschaft unter dem Aspekt Wasser- und Luftreinhaltung im Kontext einer ressourcenschonenden und effizienten Landwirtschaft vertiefen. Prof. Feinerman äußerte großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit deutschen Forschungsinstituten in diesem Bereich. Beispielsweise wären meiner Auffassung nach das Johann Heinrich von Thünen-Institut (TI) sowie das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) besonders geeignet, um einen zielgerichteten Austausch und möglichst hohe Synergieeffekte in diesem Bereich zu erzielen. Das Gespräch mit Prof. Feinerman war überaus angenehm und gewinnbringend, sodass direkt die Abmachung zu weiteren Gesprächen und zur Vernetzung auf institutioneller Ebene getroffen wurde. Meiner Meinung nach wäre es für Deutschland primär dann gewinnbringend, wenn die Beziehungen zu israelischen Instituten aktiv systematisiert und in deutlichen Clustern aufgebaut werden würden. Wie diese gezielte Vernetzung aussehen kann, soll u.a. Inhalt der kommenden Gespräche sein.

Mit Prof. Eli Feinerman

Im Anschluss an den Termin besuchte ich das Weizmann Institut of Science in Rehovot. Vor Ort traf ich erneut Herrn Dr. Paul Pasch, Direktor der FES in Israel, sowie  Judith Stelmach, wissenschaftliche Mitarbeiterin der FES und Herrn Eran Hermoni, Generalsekretär der Israeli Labor Partei. Nach einem gemeinsamen Mittagessen bekamen wir eine Führung über den Campus des Instituts. Dabei konnten wir einen Einblick in einen der renommiertesten Campus der Welt gewinnen: Das Weizman-Institut ist für seine ausgezeichnete Lehre wie auch für eine breitschichtige Forschung mit naturwissenschaftlichem Fokus auf Spitzenniveau bekannt. Gegenwärtig arbeiten rund 2600 Forscher*innen, Techniker*innen und Studierende auf dem ca. einen Quadratkilometer großen Campus. Insgesamt steht die Grundlagenforschung im Vordergrund, wobei wir im Rahmen unseres Aufenthaltes v.a. Einblicke in die Arbeit aus den Bereichen Pflanzenforschung und Biochemie erhielten.

Mit Eran Hermoni und Dr. Paul Pasch

Das Institut ist durch eine effiziente Mittelakquise finanziell sehr gut ausgestattet und die jungen, aufstrebenden Forscher*innen erhalten pro Monat ein Stipendium in Höhe von ca. 1500 Euro. Eine zielgerichtete Förderung von Wissenschaftler*innen halte ich für sehr wichtig, denn um zukunftsgemäß und nachhaltig leben zu können, bedarf es zwingend einem Handeln auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. In diesem Zusammenhang wurde der deutschen Grundlagenforschung vonseiten der Israelis hohe Anerkennung ausgesprochen – diese ist weltweit sehr anerkannt. Dabei muss betont werden, dass unser System der Förderung von Wissenschaft und Forschung durch Exzellenzinitiativen (wie u.a. Förderung der DFG, der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, der Leibniz-Gesellschaft) mit ca. 12,5 Milliarden Euro jährlich weltweit spitze ausfällt.

Nach dem spannenden Einblick in die wissenschaftliche Arbeit und Struktur des Weizman Institutes traf ich im ca. eine Autostunde entfernten Sapir College bei Gevim die Anthropologin Dr. Yeela Raanan. Frau Dr. Raanan ist Vertreterin des Regional Councils of Unrecognized Bedouin Villages am Sapir College und setzt sich für den Schutz von Beduinen ein. Mit ihr hatte ich die phänomenale Gelegenheit, eine Beduinenfamilie zu besuchen, die von der Schaf- und Kamelzucht lebt.

Zu Besuch bei einer Beduinen-Familie und deren Schafherde

Diese Familie lebt im Durchschnitt ca. 3-4 Monate an einem Ort in einem einfachen Zelt und unter widrigen Bedingungen in der israelischen Wüste, ehe sie mit ihren Schafherden weiterzieht. Die Familie schilderte mir, dass sie als Schaf- und Kamelzüchter massive Schwierigkeiten mit der israelischen Agrarpolitik hat. Ich nahm in dem Gespräch zwei wesentliche Herausforderungen wahr: Zum einen wäre es notwendig, die Wirkung von Kamelmilch auf die Gesundheit eines Konsumenten zu überprüfen und zum anderen die Marktfähigkeit von Kamelmilch als Produkt zu evaluieren. Von dieser Grundlage ausgehend sehe ich die Möglichkeit zu einer Projektförderung für den Aufbau einer Kamelmilch- und Käseproduktion, auch im Sinne einer potenziellen finanziellen Unterstützung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das wäre eine konkrete Möglichkeit, die Arbeits- und Lebensgrundlagen der Beduinen zu fördern und entsprechend zu schützen. Dieses werde ich nach meiner Dienstreise in Deutschland mit Expert*innen beraten und überprüfen, inwiefern eine Unterstützung in nachhaltiger Weise umsetzbar ist.

Nach dieser einmaligen Begegnung durfte ich auf Initiative der FES am Vorabend des Holocaust Gedenktages Jom haScho’a in Be’er Sheva an einer offiziellen Shoah-Gedenkfeier teilnehmen. Das war ein wahrlich denkwürdiger Abend. In der modernen Festhalle von Be’er Sheva wurde ein hochemotionaler Abend zelebriert, bei der der Bürgermeister Ruvik Danilowitsch eine sehr akzentuierte Ansprache hielt und die (Über-) Lebensgeschichte sechs Holocaust-Überlebender vorgestellt wurde, die in Begleitung ihrer Kinder und Enkelkinder vor Ort waren. Den Mittelpunkt des Abends stellte eine Theateraufführung einer Gruppe von Gymnasiasten aus Be’er Sheva dar, die eigenständig die Initiative ergriffen hatten, das Stück für diesen Abend einzuüben und auf die Bühne zu bringen. Darin wurde in beeindruckender Weise die Liebesgeschichte zweier junger Juden aus Thessaloniki nach einer wahren Begebenheit erzählt. Man erfuhr in dem Stück, dass in der Stadt Thessaloniki vor Ausbruch der Shoah 56.000 Juden und Jüdinnen lebten, von denen im Laufe der schrecklichen Entwicklungen 96% ermordet wurden. Den Schüler*innen gelang es hervorragend, die Geschichte dieser beiden Protagonisten durch eine detailreiche und emphatische Darbietung in sehr authentischer und berührender Art und Weise darzustellen. Die Tochter des Liebespaares war an diesem Abend ebenfalls bei der Gedenkveranstaltung anwesend und hielt nach der Vorstellung eine Ansprache, die mich als Zuhörer tief bewegte und mich bis heute nachhaltig beschäftigt. Dieser Abend ließ mich die Verantwortung besonders spüren, die ich und wir dafür tragen, dass derartige Grausamkeiten nie wieder geschehen. Gleichzeitig hat mich das Engagement der jungen Menschen, die das Stück ehrgeizig und mit beeindruckender Expressivität aufgeführt haben, stark berührt. Ich fühlte, dass auch sie diese Verantwortung in sich spüren und mit der künstlerischen Darbietung ihren ganz eigenen Weg gewählt haben, eben jenes zu vermitteln.

02.05.2019

Am darauffolgenden Tag der Dienstreise ging es für mich in die Wüste Negev, wo ich zunächst das Grab David Ben-Gurions besuchte. Ben-Gurion rief mit der Verkündung der israelischen Unabhängigkeitserklärung am 14. Mai 1948 den modernen Staat Israel aus und war dessen erster Ministerpräsident, entsprechend ehrenvoll wird seinem Erbe auch heute noch im Land gedacht.

Für meinen nächsten Termin fuhr ich zum Blaustein-Institut für Wüstenforschung (BIDR) in der Ben-Gurion-Akademie. Wüsten und andere Trockengebiete haben in Israel einen Anteil von mehr als 40% der Landfläche und entsprechend ist das Land auch stark von Umweltveränderungen wie der globalen Erwärmung und der resultierenden fortschreitenden Wüstenbildung betroffen. Das Ziel des BIDR ist die Erforschung der Wüstenumgebung, die für die Förderung einer nachhaltigen Nutzung der Wüste Negev und auch anderer Trockengebiete in der Welt erforderlich ist. Dazu forschen insgesamt 90 Wissenschaftler*innen und über 220 Studierende in Laboren, Forschungsstationen sowie Feldforschungsstätten in der Negev-Wüste zu den Forschungsgebieten Wasser, Energie, Umweltphysik, Ökologie, Biotechnologie und Landwirtschaft. Der Fokus liegt dabei primär auf der Untersuchung nachhaltiger Gestaltungspotenziale für die Zukunft unseres Planeten. Der Institutsdirektor Prof. Jhonathan E. Eprath stellte mir die Forschungseinrichtung und dessen Projekte vor. Wie erfolgreich die Forschung des Blaustein-Instituts ist, wird beispielsweise anhand der Weinproduktion in der Wüste deutlich: Dazu haben sich Forscher*innen näher mit den Voraussetzungen der Traubenproduktion unter Bedingungen extremer Trockenheit beschäftigt. Zwar sind die Wechselwirkungen zwischen Pflanze und Umwelt überaus komplex, doch dank der Umsetzung der Forschungsergebnisse in konkrete Anwendungsoperationen ist es möglich, sogar in Regionen wie der Negev-Wüste mit rauen Wetterbedingungen und weniger als 10 cm Niederschlag pro Jahr qualitativ hochwertige Weine zu produzieren. Mithilfe von Sensoren und modernster Datentechnik werden das Pflanzenwachstum sowie die Nährstoffbilanz der Pflanzen dokumentiert, sodass Winzer*innen auf Basis der gewonnenen Daten adäquat auf  Bedürfnisse der Pflanzen eingehen können. Diese aus der Forschung abgeleiteten Möglichkeiten haben mich sehr beeindruckt und verdeutlichen, wie wichtig Wissenschaft und Digitalisierung für die zielsichere, d.h. umweltverträgliche Gestaltung unserer Zukunft sind.

Anschließend fuhr ich zum Ramat Negev Training Center, einem Ausbildungszentrum inmitten der Negev-Wüste. Hier wird Studierenden aus Entwicklungsländern vertiefendes landwirtschaftliches Wissen vermittelt, das von den Auszubildenden auch konkret angewendet werden soll. Ein bis zwei Tage in der Woche verbringen sie im College, wo ihnen theoretisches Wissen vermittelt wird. Den Rest der Woche arbeiten sie auf den Farmen des Training Centers und verbinden so die Theorie mit der Praxis. Gleichzeitig werden die Farmen als Experimentierfelder für neue wissenschaftliche Ansätze und Pflanzensorten genutzt. Ein großartiges Konzept – so muss Bildung stattfinden!

03.05.2019

Am letzten Tag meiner Reise besuchte ich zusammen mit Dr. Uri Yermiyahu, Vorstandsmitglied des Gilat Regional Agriculture Center und Oscar Lutenberg, Manager im Bereich des Digital Farming, das Kibbuz Chazerim. Hier wurde 1965 das israelische Unternehmen Netafim gegründet. Um Israels knappe Ressourcen an Wasser und Anbaugebieten bestmöglich zu nutzen, entwickelte Netafim vor 50 Jahren das Konzept der sogenannten Tröpfchenbewässerung und ist mittlerweile der weltweit größte Hersteller für künstliche Bewässerungssysteme. Bei der Tröpfchen-bewässerung werden Pflanzen mithilfe von Mikrosprinklern gezielt an der Wurzel bewässert. Durch digitalisierte Pflanzenmanagementsysteme und diese Mikrosprinkler wird eine kosteneffiziente Bewässerung ermöglicht, die den Wasserverbrauch um 40 bis 60 % senkt. Im Laufe der letzten Jahre haben sich die Bewässerungsanlagen in vielen wasserarmen Regionen der Welt zu einem gefragten Importgut entwickelt. Heute werden die Bewässerungsanlagen in einer hochmodernen Fertigungsanlage gemäß individueller Bedürfnisse der nachfragenden Regionen produziert. Überrascht hat mich dabei die Komplexität dieser hocheffektiven Bewässerungstechnik, denn die Anlagen basieren auf exakten Datensammlungen und den neuesten IT-Kenntnissen. Der IT-Provider für alle Anlagen weltweit ist Amazon. Diesen Umstand finde ich besorgniserregend, denn damit hat Amazon Zugang zu globalen Daten über Klimaeinflüsse, den wirtschaftlichen Erfolg und die Steuerungsmechanismen dieser Technik. Einem Privatunternehmen solche sensiblen und hochrelevanten Daten für die Zukunft unseres Planeten zur Verfügung zu stellen und ihm damit auch immense Macht zu geben, kann nicht im Interesse der Gesellschaft und des Gemeinwohls liegen. Eine von (sub-) staatlicher Seite aus koordinierte Master-Plattform für Agrardaten sollte das Ziel für Deutschland und Europa sein, um in diesem Bereich Unabhängigkeit von großen Unternehmen zu wahren.

Abschließend fuhr ich mit Dr. Uri Yermiyahu zum Gilat Regional Agriculture Center, das sich mit Klimaveränderungen und dessen Folgen auseinandersetzt. Vor Ort sprach ich mit Mitarbeiter*innen über aktuelle Entwicklungen und Aussichten – die alles andere als erfreulich sind, wenn sich nicht in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens etwas ändert.

Fazit

An dem Freitag endete eine intensive, spannende und informative Dienstreise nach Israel. Neben den fachlichen Erkenntnissen und aussichtsreichen Möglichkeiten des inhaltlichen Austauschs und zu Kooperationen mit israelischen Wissenschaftler*innen, Forschungsinstituten und Unternehmen war es auch eine überaus emotionale und aufwühlende Reise für mich. Schon während des Aufenthaltes kam es zu Raketeneinschlägen unmittelbar in den Regionen, die ich besuchte. Es folgte eine erneute Eskalation des Nahostkonflikts: Am Tag nach meiner Abreise feuerten militante Palästinenser mehr als 300 Raketen auf Israel ab, die israelische Armee griff daraufhin bis zum Abend rund 120 Ziele von Hamas und Islamischem Dschihad im Gazastreifen an. Seit der Staatsgründung Israels kommt die Region nicht zur Ruhe. Ich bedauere das aus tiefstem Herzen.

Welche Erkenntnisse bringe ich nach dieser faszinierenden Reise mit? Die fünf Tage waren geprägt durch thematisch breitschichtige und profunde Gespräche. Die für die Landwirtschaft schwierigen klimatischen Bedingungen, der Mangel an Ressourcen wie Wasser und nährstoffreichen Böden zwingen die Israelis zu Innovation und Mut, neue Wege einzuschlagen. Klar ist: Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen muss auch bei uns höchste Priorität genießen, um den nachfolgenden Generationen eine Welt zu hinterlassen, in der sie gut und gerne leben. Qua Funktion als agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion liegt mein Fokus in diesem Kontext klar auf einer Agrarökonomie, die sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichtet und auch den Mut aufbringt, neue und konsequente Wege zu gehen. Insgesamt muss hierbei die Regel gelten: Algorithmen schlagen Bauernregeln. Und auch best practice gilt nur, wenn es wissenschaftlich belegt ist. Spannend fand ich die bereits bestehenden vielseitigen Kooperationen mit deutschen Forschungseinrichtungen. Allerdings scheinen mir diese Kooperationen willkürlich und unkoordiniert. Ich würde mir wünschen, dass wir das besser organisieren, weiter ausbauen und eine systematischere Zusammenarbeit möglich wird.