Liebe Leserinnen und Leser meines Wochenberichts,
tief verärgert habe ich bereits am Sonntag die Meldung von Covid-19-Fällen im Dissener Zerlegebetrieb erhalten. Damit reiht sich der Vorfall in Dissen in eine Reihe von schwerwiegenden Vorfällen in der Ernährungswirtschaft ein.
Die prekären Arbeitsverhältnisse, die mangelhafte Unterbringung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie mangelnde Einhaltung von Hygienestandards in der Ernährungswirtschaft sind nicht akzeptabel und dürfen nicht mehr toleriert werden. Dies alles ist nicht vom Himmel gefallen und wird von der SPD und den Gewerkschaften schon lange angemahnt. Die Probleme und Mängel werden nur jetzt in der Corona-Krise für alle sichtbar, doch werden seit Jahren notwendige Änderungen für mehr Arbeitnehmerschutz von Seiten der Lobby und der Union verhindert.
Am Montag hatte ich zu diesem Thema ein Telefongespräch mit unserem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. In Abstimmung mit dem Minister wurden wesentliche Punkte für einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, um die deutlich gewordenen Schwächen des Systems zu beheben.
Folgende Punkte gehen daraus hervor:
- Der Arbeitsschutz wird im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Werkvertragsunternehmer gestärkt und besser kontrollierbar.
- Künftig soll bei Epidemien noch schneller verbindlich reagiert und kurzfristig nötige Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen festgelegt werden können.
- Außerdem sollen beim Schlachten und der Verarbeitung von Fleisch künftig nur noch Arbeitnehmer*innen des eigenen Betriebs für dieses „Kerngeschäft“ eingesetzt werden dürfen. Ab dem 1. Januar 2021 werden Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassung hier nicht mehr möglich sein.
- Auch Unterbringungsbedingungen werden effektiv kontrolliert. Dafür werden Arbeitgeber einschließlich Werkvertragsunternehmen verpflichtet, die Unterkünfte der Beschäftigten den zuständigen Behörden zu melden.
- Die unabhängige und umfassende Beratung in der eigenen Sprache wird dauerhaft finanziell und rechtlich abgesichert; es soll außerdem sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter*innen des Projektes ausländische Arbeitnehmer*innen tatsächlich beraten und informieren können.
- Digitale Arbeitszeiterfassung ist besser kontrollierbar und wird daher zur Pflicht. Alle Beschäftigten der Fleischwirtschaft und Saison- oder entsandte Arbeitskräfte (auch sogenannte Praktikanten) müssen gegen Unfall- und Gesundheitsrisiken abgesichert sein.
Die Betriebe haben sich zu oft aus der Verantwortung gestohlen. Zudem kann es nicht sein, dass aufgrund von grob fahrlässigem Verhalten Einzelner nun ganze Regionen wieder schärfere Restriktionen wegen des Infektionsschutzes drohen. Im Übrigen gilt dies auch für die Fleischwerke des Lebensmitteleinzelhandels, die sich derzeit an der Krise eine goldene Nase verdienen. Der Preis für zu billiges Fleisch ist dann einfach zu hoch. Wenn uns diese Pandemie etwas deutlich gemacht hat, dann dass wir die Grenzen eines unverschämten und ungezügelten Marktes längst überschritten haben.
Am Mittwoch war ich dann direkt vor dem Betriebsgelände von Westcrown, in Dissen. Anschließend habe ich folgende Fragen an die Geschäftsführung weitergeleitet und um eine kurzfristige Beantwortung gebeten:
- Wie wird Westcrown kurzfristig mit Subunternehmen umgehen?
- Wieso haben Sie in die Verträge mit den Subunternehmen, spätestens nach dem Ausbruch der Pandemie, keine konkreten Vorschriften zu Arbeitsschutz, Hygiene und Zimmerbelegung aufgenommen, zumal Ihr eigenes Geschäft durch mögliche Werksschließungen bedroht ist?
- Wann und wie plant Westcrown die Beendigung von Sammelunterkünften, um zwangsläufige Infektionsketten zu unterbinden?
- Wann unterbindet Westcrown die Niedriglohntätigkeit und führt einen akzeptablen Mindestlohn von 14,50 € ein und wie wird in Zukunft die betriebliche Mitbestimmung unter Einbeziehung aller Arbeitnehmer*innen organisiert?
- Wie sichert Westcrown, dass das deutsche Sozialversicherungssystem durch ihre Tätigkeit nicht weiter unterlaufen wird?
Am Freitag hatte ich auf Einladung des „Berichts aus Berlin“ der ARD ein Interview zu der momentanen Situation der Fleischindustrie und den Arbeitnehmer*innenrechten. Hierbei war es mir ein besonderes Anliegen, die Position der SPD-Bundestagsfraktion klar und deutlich zu machen. Die Unterwanderung der deutschen Sozialversicherung durch das momentan praktizierte System ist nicht länger zu tolerieren!
Ich wünsche Ihnen und Euch ein erholsames Wochenende und bleiben Sie gesund!
Rainer Spiering