„Ich freue mich, dass das Ergebnis der Sondierungen mit der Union in unserer Partei so intensiv diskutiert wird. Das zeigt, dass die SPD eine lebendige Partei ist. Wir Sozialdemokraten neigen allerdings dazu, herauszustreichen was fehlt, statt sich über das Erreichte zu freuen.
Die Debatte über das Sondierungsergebnis ist dafür ein gutes Beispiel. Ja, der Familiennachzug ist auf 12.000 Menschen pro Jahr beschränkt. Aber es sind 12.000 Menschen mehr als bisher. Den Betroffenen helfen wir damit.
Ja, die Bürgerversicherung steht nicht im Papier. Aber wir haben erreicht, dass Arbeitgeber und Beschäftige wieder zu gleichen Teilen die Kosten der Krankenversicherung tragen. Der Zusatzbeitrag für Arbeitnehmer wird – endlich – abgeschafft.
Die Große Koalition ist für viele – auch für mich – keine Wunschkonstellation.
Sie ist aber eine Möglichkeit, konkrete Verbesserungen für unsere Wählerinnen und Wähler umzusetzen. Daran messe ich die Sondierungsergebnisse:
- Wir stärken die soziale Sicherung und den sozialen Zusammenhalt in der EU beispielweise durch ein System europäischer Mindestlöhne.
- Steuervermeidung und Steuerflucht sagen wir endlich den Kampf an. Amazon, Facebook, Google und Co. müssen endlich zahlen.
In Zeiten, in denen die Fliehkräfte in der EU zunehmen und rechtsnationale Regierungen ob in Polen, Ungarn oder jetzt auch in Österreich an den europäischen Grundwerten kratzen, kann dieser Erfolg nicht hoch genug bewertet werden. Unser Wohlstand und unsere Sicherheit sind nur in einer starken EU möglich.
Ein struktureller Durchbruch ist uns beim Thema Bildung und Betreuung gelungen. Bessere Bildungschancen von der Kita bis zur Uni oder Meisterausbildung – und zwar bundesweit:
- Das unsinnige Kooperationsverbot fällt. Der Bund kann die Kommunen endlich bei der Modernisierung der Schulen und dem Ausbau von Ganztagsschulen unterstützen.
- Gebührenfreie Kitas, ein Recht auf Ganztagsbetreuung, Investitionen in mehr und bessere Betreuung sorgen für gute Startchancen für alle.
- Mit der Einführung einer Mindestausbildungsvergütung und einer BAföG-Reform ermöglichen wir mehr Chancengleichheit.
- Die Berufliche Bildung werden wir mit einem Berufsbildungspakt modernisieren und stärken. Dazu gehören eine Ausstattungsoffensive für berufliche Schulen vor dem Hintergrund der Digitalisierung und eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes.
- Im Interesse der Fachkräftesicherung bei Sozial- und Pflegeberufen werden wir finanzielle Ausbildungshürden abbauen und streben Ausbildungsvergütungen an.
Auch auf dem Arbeitsmarkt haben wir strukturelle Änderungen erreicht:
- Wir leiten den Umbau der Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung mit einem Recht auf Weiterbildungsberatung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein. Fördern geht künftig vor Fordern.
- Besondere Förderung haben wir für Langzeitarbeitslose durchgesetzt. Mit der Schaffung und Finanzierung eines sozialen Arbeitsmarktes und der Ermöglichung des Passiv-Aktiv-Tauschs geben wir 150.000 Langzeitarbeitslosen eine Perspektive auf Arbeit und soziale Teilhabe.
- Und endlich wird es einen Rechtsanspruch auf Rückkehr in die vorherige Arbeitszeit geben, was vor allem Frauen den Weg aus der Teilzeitfalle ermöglicht.
Bei der Stärkung der gesetzlichen Rente sind wir vorwärts gekommen:
- Wir erhöhen das gesetzlich garantierte Rentenniveau bis ins Jahr 2025 von 43% auf 48%. Das ist ein erster Schritt, aber der ist gemacht und dahinter wird man später schwer zurückgehen können.
- Wir haben eine Grundrente erreicht, damit Menschen, die lange gearbeitet haben, im Alter mehr haben als diejenigen, die nie gearbeitet haben. Und das auch für alle, die sich bereits im Ruhestand befinden.
Wir entlasten Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
- Arbeitgeber und Beschäftige tragen wieder zu gleichen Teilen die Kosten der Krankenversicherung. Der Zusatzbeitrag für Arbeitnehmer wird abgeschafft.
- Der Solidaritätszuschlag wird sozial gestaffelt abgebaut.
- Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt.
Das Sondierungsergebnis erhält darüber hinaus zahlreiche weitere Fortschritte und Erleichterungen: Erhöhung des Kindergeldes, Unterstützung beim Erwerb von Wohneigentum, Neuregelung des Kinderzuschlags, Verbesserungen bei Bildung und Teilhabe, Fortsetzung der sozialen Wohnungsraumförderung durch den Bund über 2019 hinaus, Absenkung der Modernisierungsumlage, mehr Personal und bessere Bezahlung in der Pflege.
Wir konnten damit viele SPD-Anliegen durchsetzen, weit mehr als wir mit einem Wahlergebnis von 20,5 Prozent erwarten konnten. Mit den schon jetzt im Rahmen der Sondierungen getroffenen konkreten Vereinbarungen können wir für die große Mehrheit der Bevölkerung spürbare Verbesserungen im Alltag erreichen.
Ein zweiter Punkt, der für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen spricht, ist der Blick auf die Alternative. Eine Minderheitsregierung wird es nicht geben, da die Union klar erklärt hat, dafür nicht zur Verfügung zu stehen. Also wird es bei einer Ablehnung von Koalitionsverhandlungen voraussichtlich zu Neuwahlen kommen. Für die Bürgerinnen und Bürger würde dies bedeuten, dass es weder ein gesichertes Rentenniveau, eine Grundrente, staatliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus, eine Abschaffung des Kooperationsverbotes oder eine gebührenfreie Kita geben wird. Das wissen wir aus den Jamaika-Sondierungen.
Drittens hat sich der Bundespräsident klar gegen Neuwahlen ausgesprochen. Der Präsident hat die Parteien nachdrücklich ermahnt, verantwortungsvoll mit dem Wählervotum umzugehen.
Der vierte Punkt, der für Koalitionsverhandlungen spricht, ist ganz simpel: Was antworten wir denn Wählerinnen und Wählern auf die Frage, warum wir die Chance nicht genutzt haben, viele unserer Themen, für die wir jetzt im Wahlkampf wieder werben, in einer Großen Koalition umzusetzen?
Diese Frage konnte mir bisher kein Gegner der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen plausibel beantworten.
Nur wenn wir unserem Anspruch treu bleiben, das Leben der Menschen konkret zu verbessern und unsere Möglichkeiten dazu zu nutzen, bleiben wir glaubhaft. Und das ist es, was die Wählerinnen und Wähler von uns erwarten.
Last but not least finde ich es richtig und wichtig, dass im Mitgliederentscheid alle Genossinnen und Genossen die Möglichkeit bekommen, über eine Koalition zu entscheiden; dass auch die Mitglieder gehört werden, die im aktuellen Medienrummel keine Stimme haben:
Das geht nur mit der vorherigen Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.“