|  Kommentar

In Gedenken an Helmut Schmidt


 „Nach dem ersten Schreck über den Tod von Helmut Schmidt bin ich gerade wegen unserer momentanen politischen Situation sehr nachdenklich geworden. Wir waren als Parlamentarier gestern Abend in die Landesvertretung Hamburg eingeladen. Hier sollte fraktions- und ressortübergreifend die Olympiabewerbung vorgestellt werden. Der Abend begann mit einer Trauerminute für den Ehrenbürger der Hansestadt Hamburg und Altkanzler Helmut Schmidt. Deutlich wurde die Tiefe der Verbundenheit der Hamburger mit dem Mann, der die Folgen der fürchterlichen Sturmflut beherrschbar machte.

Helmut Schmidt war gelebte Demokratie im besten Sinne. Wir geben aus Überzeugung Macht, sogar sehr große Macht auf Zeit in die Hand weniger, gelegentlich sogar in die Hand einer Person. Die Richtlinienkompetenz des Kanzlers ist in unserer Verfassung festgelegt. Grundsätzlich hat bei uns die Exekutive großen Gestaltungs- und Ermessensspielraum. Jeder Bürgermeister oder Landrat kann je nach Fähigkeit seinen Wahlbereich maßgeblich gestalten. Diese ausführende Gewalt ist ausdrücklich so gewollt. Sie muss aber auch entsprechend genutzt werden. Das Credo von Helmut Schmidt war: das Land vor der Partei. Übrigens seit 150 Jahren eine Überzeugung, die Sozialdemokratie leitet.

Wenn wir uns die Kanzlerschaft von Kanzler Schmidt vor Augen führen, gab es gewaltige Herausforderungen, besonders auch persönliche. Die Zeit der RAF hat ihn an die Grenze dessen geführt, was ein Einzelner entscheiden kann und will. Sowohl die Entscheidungen zur Befreiung der Landshut, als auch der Umgang mit den Entführern von H. M. Schleyer war im Team getroffen.

Helmut Schmidt hat aber immer deutlich gemacht, dass er die Verantwortung trägt. Gerade im Fall Hanns Martin Schleyer hat sie ihn sein Leben lang begleitet.
Er war Leitfigur und hat zu seiner Verantwortung gestanden. Immer noch in aller Erinnerung die autofreien Sonntage. Es war ein Signal an die eigene Bevölkerung: ‚Seht wir haben ein Energieproblem und müssen damit umgehen‘. Ob es heute noch den persönlichen Mut gibt, derartige Entscheidungen zu formulieren und umzusetzen, darf man getrost hinterfragen.
Der Weltwirtschaftsgipfel war mit eine Idee von Schmidt. Er hat uns globaler und internationaler gemacht.

Er hat als Kanzler aus tiefer Überzeugung den NATO-Doppelbeschluss betrieben. Am Ende gegen die Meinung der SPD. Es gibt nicht wenige, die behaupten, er habe mit seiner Ansicht recht gehabt und die Geschichte habe ihm Recht gegeben. Er hat sich immer positioniert und seine Meinung vertreten und dann auch umgesetzt. Das ist die Besonderheit der Richtlinienkompetenz. Seine Führung war präsent und hat Orientierung gegeben – so muss es sein. Ich habe heute und auch gestern immer wieder gehört, das Durcheinander bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation hätte es mit Helmut Schmidt nicht gegeben. Ich glaube das zunehmend auch und das macht mich traurig. Politik braucht geradlinige, kantige, begabte und auch unbequeme Führungspersönlichkeiten. Jede Zeit braucht ihre Helmut Schmidts, jetzt gerade.

Ich würde mich zutiefst freuen, wenn es gelänge, dass in den nächsten Tagen und Wochen in der Tradition und Wertvorstellung unseres Altkanzlers in Berlin regiert würde.“

In großer Trauer und Betroffenheit
 Rainer Spiering