Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihr Schreiben mit den Rücktrittsforderungen an Bundesministerin Svenja Schulze und Staatssekretär Jochen Flasbarth. Wie Sie sicherlich nachvollziehen können, werden wir Ihre Forderung nicht unterstützen können. Doch möchte ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen meine Sicht auf diese Situation darzustellen.
Wir leben in sehr turbulenten Zeiten. Die Covid-19-Pandemie hat unser aller Leben sehr verändert und die demokratischen Grundrechte herausgefordert. Gerade jetzt ist es wichtig, demokratische Selbstverständlichkeiten wie die Meinungsfreiheit zu stärken. Gleichzeitig kann dies nur gelingen, wenn von allen gesellschaftlichen Akteuren eine konstruktive, respektvolle und offene Kommunikationskultur gepflegt wird. Bevor ich auf Ihre inhaltlichen Punkte komme, möchte ich vorweg mit einem Mythos aufräumen. Weder die SPD noch die Bundesregierung möchten, wie es mitunter behauptet wird, die Landwirtschaft in Deutschland, aus welchen Gründen auch immer, abschaffen. Wir schätzen und würdigen die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte, sehen aber auch die großen Herausforderungen, vor denen sie stehen. Und es ist gerade die Aufgabe von Politik, hier an der Seite der Betroffenen zu stehen und Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen für und nicht gegen sie zu treffen.
Zu den großen Herausforderungen der Landwirtschaft zählen unbestritten untere anderem der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt. So konstatiert der Bericht des Weltbiodiversitätsrats einem Wissenschaftsgremium, dass sich in den Sektoren Land- und Forstwirtschaft 14 der 18 betrachteten Umweltkategorien verschlechtert haben. Genauso wie in dem von Ihnen kritisierten „Bericht zur Lage der Natur“ werden auch weitere Gründe wie Lichtverschmutzung, Bodenversiegelung oder Freizeitaktivitäten des Menschen und eben nicht die landwirtschaftliche Nutzung alleinig genannt. Weitere Studien wie die des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeslandwirtschaftsministeriums, des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, aber auch die von einzelnen, hoch anerkannten Agrar- und Umweltwissenschaftlern belegen den Einfluss der Landnutzung auf Umwelt und Natur. Um damit eine Ihrer Fragen zu beantworten: Neben dem Austausch mit Praktikerinnen und Praktikern fließen genau diese wissenschaftlichen Erkenntnisse und eben nicht angeblich weltfremde Ideologien in unser politisches Handeln ein.
Es ist menschlich nachvollziehbar, dass Veränderungen und das Verlassen liebgewonnener Routinen skeptisch gesehen werden. Zu lange wurde auch von der Politik eine Landwirtschaft verlangt, die rein auf den ökonomischen Ertrag ausgerichtet wurde. Diese eindimensionale Sicht greift viel zu kurz und muss sich für weitere Aspekte der Preisgestaltung öffnen. Zukünftig müssen Leistungen für das Allgemeinwohl mit eingepreist werden, sodass Landwirte auch von ihrer Arbeit ein auskömmliches Einkommen generieren können. Zum Beispiel, in dem eingepreist wird, was uns neben der Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln zum Beispiel der Erhalt der Biodiversität, der Erosionsschutz oder der Humusaufbaus wert ist. Hier muss auch im Subventionssystem nachjustiert werden, sodass Landwirte für ihre Arbeit für die Gesellschaft auch entlohnt werden. Dabei müssen selbstverständlich die Schwachstellen im gesamten System berücksichtig werden – von der Politik über die Produzenten bis hin zu Handel und Konsumenten.
Allein die deutsche Landwirtschaft bekommt in Form von direkten und indirekten Förderungen, Zuschüssen und Steuernachlässen rund 13 Milliarden Euro Steuergelder im Jahr – Tendenz steigend. Damit erhält dieser Sektor im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen seit langer Zeit überproportional große finanzielle Aufmerksamkeit. Auch die SPD hat in ihrer Zeit in Regierungsverantwortung diese Stützung der Landwirtschaft immer mitgetragen. Gleichzeitig müssen wir aber auch festhalten, dass das Subventionssystem das „Höfesterben“ nicht aufhalten konnte. Es steht neben dem immensen Wettbewerbsdruck und der immer höheren Technisierung gar im Verdacht, es zu beschleunigen. Allein deswegen muss schon im Interesse der Landwirtinnen und Landwirte ein Umdenken erfolgen. Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe der Politik, dies gemeinsam mit allen Betroffenen zu erörtern und zu gestalten.
Doch Kommunikation wird genau dann schwierig, wenn unerfüllbare Maximalforderungen gestellt werden und bei Nichterfüllung gar eine Trotzreaktion folgt. Sie werfen Svenja Schulze und Jochen Flasbarth nun vor, dass beide nicht mit Vertretern von Land schafft Verbindung kommunizieren wollten. Diese Behauptung ist verwunderlich, da es verschiedene Treffen zwischen den beiden und Vertretern Ihrer Organisation gab. So zum Beispiel anlässlich der Runden Tische Insektenschutz, als Podiumsteilnehmer auf dem BMU-Agrarkongress, bei persönlichen Gesprächsterminen zwischen Herrn Dirk Andresen und Herrn Thilo von Donner, bei der Besichtigung des FRANZ-Projektes in Ribbeck/Nauen. Auch hat Frau Bundesministerin Schulze auf der großen Bauerndemo in Berlin anlässlich der Internationalen Grünen Woche gesprochen. Sie wurde dort von etlichen Teilnehmern ausgebuht und ihr wurde von etlichen
Demonstranten der Rücken zugedreht. Als vorläufiger Höhepunkt neben den Rücktrittsforderungen wurde gegen die Ministerin und eine Behördenleiterin Strafanzeige wegen Volksverhetzung, Verleumdung und Betruges gestellt. In solch einer Atmosphäre ist viel Vertrauen beschädigt worden.
Keine Frage – die Situation in der Landwirtschaft ist sehr komplex und konnte hier nur in Teilen angesprochen werden. Ich kann Sie daher nur dazu ermuntern, Ihre Wagenburg zu verlassen und das Gespräch zu suchen. Dies ist der einzige Weg, um die harten Fronten zu überwinden, die Perspektive des Gegenübers zu verstehen und zurück zu einem konstruktiven Austausch zu kommen. Ich stehe Ihnen hierfür gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Spiering, MdB