Sehr geehrte Frau Bundesministerin Klöckner,
bis einschließlich 2019 hatten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Möglichkeit, Mittel aus den Direktzahlungen der 1. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auf die 2. Säule zur Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu übertragen. Eine solche Flexibilität ist nach den geltenden Vorschriften für das Kalenderjahr 2020 bzw. das Haushaltsjahr 2021 nicht vorgesehen. Würde diese Flexibilität zwischen den Säulen nicht weiter bestehen, hätte dies für Betriebsinhaber, aber auch für die Erreichung nationaler Klima- und Umweltziele gravierende Folgen. Daher begrüßen wir den Vorschlag der EU-Kommission (2018/0414 (COD)), eine Übertragung zwischen den Säulen im Kalenderjahr 2020 zu ermöglichen. Demnach müsste Deutschland bis zum 31. Dezember 2019 der EU-Kommission melden, wie hoch der Anteil der Umschichtung für 2020 sein soll.
Vor diesem Hintergrund ist es ein Gebot der Vernunft, dass Sie dem Änderungsvorschlag für eine weitere Umschichtungsoption für 2020 zustimmen. Außerdem regen wir an, dass in Anbetracht der internationalen Verpflichtungen und nationalen Herausforderungen Deutschland nicht wie bisher 4,5 %, sondern in vollem Umfang 15 % der Mittel der Direktzahlungen zur Aufstockung des ELER nutzt.
Sie selbst haben sich mehrfach dazu öffentlich bekannt, dass die Reform der GAP zu mehr Klima- und Umweltleistungen führen soll. Mit der erneuten Umschichtungsmöglichkeit wäre der Übergang hierzu leichter zu vollziehen. Außerdem wären die Ziele des auch von Ihnen ausverhandelten Koalitionsvertrags noch zu erreichen sowie die internationalen Verpflichtungen, wie das Pariser Klimaschutzabkommen oder die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG), zu erfüllen.
Frei nach dem Kästner-Zitat „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ einige Beispiele, die derzeit über den ELER finanziert werden können, die dies belegen:
Ökologischer Landbau
Nur bei einer kompletten Umschichtung hat Deutschland noch eine Chance, bis 2030 tatsächlich 20 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch zu bewirtschaften und somit die Vorgaben der SDG zu erreichen. Sie haben sich mehrfach zu dem 20-Prozent-Ziel öffentlich bekannt. Auch hängt der Erfolg einer nationalen Ackerbaustrategie von einer entsprechenden Mittelausstattung im ELER ab. Stellen Sie daher die entsprechenden Fördergelder durch die Umschichtung zur Verfügung!
Nitratklage
Nur bei einer kompletten Umschichtung hat Deutschland noch eine Chance, die Vorgaben der EU-Nitratrichtlinie zu erreichen und Zwangsgelder in Milliardenhöhe durch die EU-Kommission zu verhindern. Auf diesem Weg würden mehr Mittel für Agrarklima- und Umweltmaßnahmen und somit für einen besseren Gewässer- und Bodenschutz zur Verfügung stehen. Gleichzeitig würde dann, wie Sie es mehrfach gefordert haben, die Akzeptanz und Wertschätzung für die Landwirtschaft gesteigert werden.
Klimaschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt
Deutschland hat sich beim Übereinkommen von Paris international dazu verpflichtet, seine klimaschädlichen Treibhausgase deutlich zu reduzieren. Auch die Landwirtschaft muss hierfür einen Beitrag leisten. Hierzu zählen neben der Abschaffung der klimaschädlichen Agrardieselsubvention auch trocken gelegte Moore, die für rund 4 % der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Dort, wo es sich anbietet, sollten Moore wiedervernässt werden, auch um die Vorgaben der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt endlich mit Leben zu füllen. Auch würde Deutschland die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie erfüllen, wenn Flussläufe noch öfter wieder einen natürlichen Verlauf nehmen würden. Beides ist mit Mitteln des ELER förderbar.
Wirksamer Tierschutz
Deutschland hinkt den eigenen Ansprüchen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Nutztierhaltung hinterher. Über den ELER werden tierfreundlichere Ställe und gleichzeitig die Flächenbindung gefördert. Damit ist auch eine Akzeptanzsteigerung der Landwirtschaft möglich. Nur bei einer kompletten Umschichtung könnte Deutschland ein agrarpolitischer Trendsetter werden und eine Tierwohlkennzeichnung sowie eine nationale Nutztierstrategie hätten überhaupt erst Aussichten auf Erfolg.
Für einen starken ländlichen Raum
Sie sind Mitglied in der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Wenn Sie tatsächlich erreichen wollen, dass wir in Deutschland einen attraktiven und lebenswerten ländlichen Raum erhalten, dann müssen die entsprechenden Fördermaßnahmen im ELER mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden. Eine Umschichtung von 15 % bietet hierfür eine einmalige Gelegenheit.
Aus unserer Sicht führt kein Weg daran vorbei, 15 % der Mittel von der 1. in die 2. Säule der GAP umzuschichten. Wir würden Sie bei einem entsprechenden Vorgehen voll und ganz unterstützen. Wir haben große Hoffnung, dass Sie ihre Länderkolleginnen und Länderkollegen, zumal die Umschichtungsmittel nicht kofinanziert werden müssen, für dieses Vorhaben auch gewinnen können. Gelingt keine komplette Umschichtung von 15 % droht Deutschland erneut eine Legislaturperiode ohne nennenswerte Fortschritte im Agrarbereich.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Spiering, MdB, Agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Dr. Matthias Miersch, MdB, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender
Carsten Träger, MdB, Umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion